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Vom Westen durchflutet

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Schaut man sich hier im Zentrum um, ist der Anblick überwältigend. Bunte Gebäude, blitz blanke Strassen und gepflegte Blumenbeete stechen einem ins Auge. Alle negativen Vorurteile gegenüber Rumänien sind auf der Stelle weggefegt. Hermannstadt ist zusammen mit Luxemburg europäische Kulturhauptstadt 2007 und hat sich für dieses riesige Ereignis herausgeputzt. Das ganze Zentrum wurde aufwendig renoviert und erstrahlt nun in bestem Glanz. Vor ein paar Jahren war das jedoch noch ganz anders. Das Zentrum sei wesentlich schäbiger gewesen, ähnlich den heutigen Aussenbezirken.
Der EU Beitritt war für Hermannstadt sehr wichtig, obwohl Auswirkungen noch nicht deutlich ersichtlich sind. Doch der Westen hat Einzug gehalten. So sind inzwischen die Plakatwände mit den gängigen westeuropäischen und US-amerikanischen Reklamen vollgekleistert und Grossbildschirme berieseln mit ihrem Geflimmer rund um die Uhr die Leute in den Strassen. Das hat natürlich auch einen Einfluss auf das, was die hermannstädtische Bevölkerung kauft und wo sie es kauft. Das relativ neue Shoppingzentrum ausserhalb der Stadt, kurz Mol genannt, ist topmodern und bietet von Puma über LeeCooper bis hin zu Beldona sämtliche Schuhe, Kleider, Kosmetika und Schmuck an, zu Preisen wie wir sie aus der Schweiz kennen. Auf der Strasse sieht man viele Leute, die mit Markenklamotten herumlaufen. Auch hier, so scheint es, sollen Markenkleider zu einem höheren Status in der Gesellschaft führen.
Bevor ich nach Hermannstadt kam, dachte ich, ich würde einer ganz anderen, mir noch unbekannten Kultur begegnen. Doch nun sehe ich hier nichts von dem, was mir vorher über Rumänien gesagt wurde. Es ist, als wäre man irgendwo in Italien: gelbe und orange Häuser, Pizzerias, Gelaterias, das südländische Temperament der Leute.
Trotz der Schönheit Hermannstadts zieht es früher oder später viele Menschen von hier ins Ausland in den Westen Europas. Darunter sind auch SchülerInnen des Brukenthalgymnasiums. Länder wie Deutschland oder Österreich sind sehr beliebt. Man erhofft sich, dort einen gutbezahlten Job zu ergattern oder an den angesehenen Universitäten zu studieren. Die Sauberkeit und das geordnete Leben werden unter anderem ebenfalls als Gründe angegeben. Die Fixierung auf den deutschsprachigen Raum ist hier sehr stark. Das kann zumindest in Bezug auf Österreich geschichtliche Gründe haben, denn auch Rumänien gehörte eine Zeit lang zu Österreich-Ungarn. Auch viele Importprodukte stammen aus dieser Gegend.
Die Nachrichten des rumänischen Fernsehens, die mich stark an die von CNN erinnerten, zeigen sowohl regionale wie auch nationale Infos und internationales Weltgeschehen. Ich weiss jedoch nicht, wie gross der Einfluss der Regierung auf die ausgestrahlten Berichte ist. Aber ich denke, dass die HermannstädterInnen grundsätzlich über genügend Weltwissen verfügen. Es kommt natürlich darauf an, ob die einzelne Person Interesse zeigt. Das ist hier nicht anders als bei uns. Besonders bei den Jugendlichen gibt es oft „wichtigere“ Dinge: MTV, msn und Ausgang sind unterhaltender. Nachrichten werden, zumindest bei den Leuten, die ich kennen gelernt habe, so gut wie nie geschaut.
Gratiszeitungen wie 20Minuten gibt es in Hermannstadt noch nicht, jedoch viele Kiosks und Zeitungsverkäufer, die verschiedene Zeitungen für wenig Geld anbieten.
Nach einer Woche in Hermannstadt bin ich überrascht, wie stark man sich hier nach Westen ausrichtet. Egal ob Kleider, Essen, Musik, alles ist von einem westlichen Schleier umgeben, so dass ich die eigentliche Kultur dieses Landes gar nicht richtig erblicken konnte. Erst wenn man ein Stück weiter weg ausserhalb der Stadt ist, sieht man das Rumänien, wie es uns bekannt ist: wo Bauern noch mit Pferdewagen herumfahren und Grossbildschirme ein Fremdwort sind.

Sarah

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